Rosegger-Brief von 1873 in der Weltausstellungs-Ausstellung im Wien-Museum
Babylonischer Turm als Symbol für Kritik an Industrie-Emissionen

Ein Brief, den Peter Rosegger als damals 30jähriger Schriftsteller am 20. Februar 1873 seinem Freund August Brunnlechner schrieb, wird von 14. Mai bis 28. September 2014 in der Ausstellung „Experiment Metropole - 1873: Wien und die Weltausstellung" im Wien-Museum gezeigt. Die Ausstellung widmet sich einer entscheidenden kulturgeschichtlichen und städte-baulichen Phase in der Geschichte Wiens. Den Kern der Ausstellung bildet die Weltausstellung selbst, die sechs Millionen Besucher anlockte.
Die Steiermärkische Landesbibliothek ist im Besitz des Nachlasses von Peter Rosegger, zu dem auch die Federzeichnung gehört, die Teil der Ausstellung in Wien ist.
=> Informationen zur Ausstellung: www.wienmuseum.at'}
=> Original-Brief
Transkription des Briefes
Sie finden nachstehend die vollständige Transkription des Briefes, in dessen Umfeld sich die Federzeichnung befindet, sowie Stichworte zur die Freundschaft Roseggers mit August Brunnlechner, dem Adressaten des Briefes.
Graz, den 20. Febr. 873
Mein lieber Brunnlechner!
Ich bin wohl im Mürztal gewesen, weil ich meine Seele verpfändet habe dafür, daß ich sie mit meinem „Moses" in Kindberg wieder auslöse. Aber ich merk‘ es, meine Seele ist im Umsatzamt schäbig geworden, sie taugt schon gar nicht mehr; es schmeckt mir kein Arbeiten u. kein Lesen, u. gar nichts mehr. So wie ein Tintenfaß durch langes u. vieles Schreiben endlich erschöpft wird u. austrocknet, so mein Gehirn; ‘s ist nichts mehr drin. Für die Noth kann man ein wenig Wasser hineingießen, das gibt grau, aber nicht mehr schwarz. Gut, strecke ich mich auf's Sofa, u. nicht eine Zeile will ich schreiben, so lange ich nicht wieder muß, von innen heraus.
Sonntag war ich in Krieglach - lag den ganzen Tag im Bett, den halben Montag verlag ich auch noch, dann fuhr ich fröstelnd u. mißmutig nach Graz. Gustl, danke Deinem gütigen Gott, daß er Dich verschont hat mit der Plage eines fröstelnden, mißmutigen Rosegger.
Wäre mir warm u. wohlzumute gewesen, ich hätte Dich sicher besucht in Niklasdorf, so lange die Luft noch rein, u. durch Hochofenruß nicht verfinstert ist. Ihr mit Euerem Wühlen u. Sengen u. Brennen richtet uns ohnehin die Welt zu Grunde; Ihr Maulwürfe, Ihr Borkenkäfer, Ihr Rosthammel, Ihr seid ja ärger, wie der Türk! - Zuerst sandte der Herr die Sündflut: diese vermochte die schöne Erde nicht zu verderben, da sandte er die Industrie - alle Berge werden unterminirt, alle Wälder verbrannt; auf allen Wiesen u. Auen werden Fabriken ge-
baut, alle Flüsse werden mit Kohlenruß getrübt, u. die Luft wird verdunkelt durch Rauch und Asche. Die Sündfluth war schön u. erhaben in ihrer Gewalt; die Industrie aber ist der langsam u. sicher treffende Rost, welcher seiner Tage jenen Planeten verzehren wird, der bislang die Nächte im Monde beleuchtet mit den Reflexionsstrahlen der Sonne.
Ein Patent stelle ich auf, daß alle Industrieellen Zinsen zahlen müssen an alle Jene, die vom Wasser u. von der Luft leben müssen; denn Wasser u. Luft ist Jedem zu eigen - wer erlaubt Euch, sie zu verderben, mehr, als Eueres persönlichen Bedarfes ist!
Das ist wahrhaftig keine Faschingskapuzinade; mir geht es zu Herzen, u. so oft u. gern ich die Eisenbahn benütze, so sehne ich mich dennoch nach dem traditionellen Hirtenleben Arkadiens.
Eine Klage im Vertrauen: Wenn Du einmal im 30sten Lebensjahre, u. Bräutigam - 6 Monate Bräutigam - sein wirst, u. noch Öl im Bluthe hast, u. Deine Braut liebst, wie man einen Sendling Gottes nur lieben kann, so wirst Du die Erfahrung machen von einem argen Zustande, den wir sonst in anderen Lebenslagen stets gewohnt sind, mit Vergnügen zu beseitigen. Bete täglich zu Gott um langes Leben, nur nicht um solche 6 Monate! - Zwar, sie sind angethan, die Sünden der Welt abzubüssen, aber dazu ist von jedher ein Gottmensch nöthig gewesen.
Nun, ich bin bislang aber ein solcher Gottmensch; gehen die 6 Monate glücklich vorüber, dann habe ich Respekt vor mir. Du, gutes Kindlein, kannst derlei freilich nicht verstehen, u. wirst meinen, es sei wahrhaftig der Grazer Fabrikenruß Schuld, daß mein halblahmes Gehirn solch sinnloses Zeug in diesen Deinen Brief legt.
Es grüßt u. küßt Dich, lieber Gustl, Dein
getreuer
P. K. R.
Graz, den 20. Feber 873
Anmerkungen zum Inhalt und zu Roseggers Freundschaft mit August Brunnlechner

Der Adressat des Briefes, August Brunlechner, war einer der engsten Freunde Peter Roseggers. Kennen lernten sich die beiden als Schüler in Graz im Jahre 1866. Rosegger besuchte die Schule für Handel und Industrie, die heutige Handelsakademie, der aus Leoben stammende August Brunlechner war Schüler an der Realschule in Graz. Es war sozusagen „Freundschaft auf den ersten Blick", die lebenslang andauerte.
Man traf sich oft und es entstand auch ein reger Briefwechsel.
Der Nachlass Peter Rosegger, der sich im Besitz der Steiermärkischen Landesbibliothek befindet, enthält 759 Korrespondenzstücke zwischen den beiden Freunden - sowohl Briefe als auch Postkarten.
Rosegger selbst schreibt über diese Freundschaft:
„Meine weit jüngeren Studienkollegen waren zumeist rücksichtsvoll gegen mich, doch, wie ich früher das Gefühl gehabt, daß ich nicht recht zu den Bauernjungen passe, so war es mir jetzt, dass ich auch nicht zu den Söhnen der Kaufleute, Bankiers und Fabrikanten gehöre. Indes schloß ich Freundschaft mit einem Realschüler, später Bergakademiker, mit einem oberländischen Bergsohn, namens August Brunlechner. Wir verstanden uns, oder strebten wenigstens, uns zu verstehen; beide Idealisten, beide ein wenig sentimental, uns gegenseitig zu Vertrauten zarter Jugendabenteuer machend und dann wieder uns zu ernster Arbeit ermunternd, uns darin unterstützend - so hielten wir zusammen, und die alte Freundschaft währt heute noch fort."
Aus: Peter Rosegger: Die Schriften des Waldschulmeisters. Leipzig, Staackmann 1913. (Gesammelte Werke ; Bd. 1). Lebensbeschreibung des Verfassers. S. XVII. Sign.: DA 546770 II/1
Durchaus auch heute aktuell sind Passagen des Briefes, in denen Rosegger seinen Unmut über die Luft- und Umweltverschmutzung durch die Industrie äußert. Auf der letzten Seite fügte Peter Rosegger die oben gezeigte Federzeichnung an. Er skizzierte die Strecke von Graz nach Leoben mit den einzelnen Stationen in Judendorf, Gratwein, Stübing, Peggau, Frohnleiten, Mixnitz, Pernegg, Bruck, Niklasdorf und zuletzt Leoben, wo er einen 12000 Fuß hohen „Neu Babilonischen Thurm" platziert, der erst ab einer Höhe von 6000 Fuß aus den Rauchschwaden der in „Niklausdorf" eingezeichneten Fabrik herausragt.
Auf der linken Bildseite sieht man den „Hoch Lantsch" mit 5000 Fuß Höhe.
Zum Brief
"Hier kommt erstmals Roseggers frühes Umweltbewußtsein zu Wort, das später im Heimgarten eines seiner wichtigsten Anliegen als Zeitkritiker werden sollte. ... "
Aus: In ewiger Deinheit. Briefe von Peter Rosegger an einen Jugendfreund. Einf. und verbindender Text von Carlotte Anderle. Wien, Österr. Agrarverl. 1990. S.170. Signatur: LA 520024 I
Kritik an den Emissionen
„1873, also noch bevor Peter Rosegger den Plan zu seiner Programmzeitschrift Heimgarten gefasst hat, bekundete der damals 30-jährige Schriftsteller einen gewissen Abscheu vor industriellen Emissionen. In einem Brief an August Brunlechner kritzelt er einen Babylonischen Turm - seit jeher Symbol der Hybris wie der unausweichlichen Katastrophe, und er kommentiert seine Graphik:
,Wäre mir warm u. wohlzumute gewesen, ich hätte Dich sicher besucht in Niklasdorf, so lange die Luft noch rein, u. durch Hochofenruß nicht verfinstert ist. Ihr mit Euerem Wühlen u. Sengen u. Brennen richtet uns ohnehin die Welt zu Grunde; Ihr Maulwürfe, Ihr Borkenkäfer, Ihr Rosthammel, Ihr seid ja ärger, wie der Türk!'
Rosegger reagiert damit auf die Metamorphose seiner Herkunftsregion. Denn das Mürztal wurde, wie der verdienstvolle steirische Wirtschaftshistoriker PAUL W. ROTH beschreibt, zu dieser Zeit zu „dem Zentrum der Stahlerzeugung", und es bilden sich industrielle Zentren in der Mur-Mürzfurche heraus. Doch hängt an Roseggers Vorstellung wohl auch etwas Anti-Utopisches. Die Beeinträchtigung des Atmens durch Hochöfen steht nicht nur für sich, sie wird zum Menetekel, zum Symbol des drohenden Untergangs der gesamten industriellen Zivilisation, die damals im Begriffe war, sich herauszubilden."
Aus: Rosegger für uns. Reinhard Farkas (Hg.) Graz, V. F. Sammler (im Stocker Verl.), 2013; S. 106f. Sign.: LA 562166 II
Transkription und Text:
Susanne Eichtinger, Steiermärkische Landesbibliothek
(Verwaltung der Nachlässe, speziell Peter Rosegger)