Grazer Pionier wissenschaftlicher Verbrechensaufklärung: 100. Todestag
Hans Gross (26.12.1847 – 9.12.1915)
Hans Gross wurde am 26. Dezember 1847 als Sohn des Kaiserlichen Oberkriegskommissärs Gustav Gross am sogenannten „Kleinen Glacis" Nr. 6, heute Ecke Radetzkystraße/Keesgasse, geboren.
Nach seiner Matura studierte er an der Grazer Universität Rechts- und Staatswissenschaften und promovierte am 31. Juli 1870. Danach trat er in den Gerichtsdienst ein.
1876 vermählte er sich mit Adele Raymann (11. März 1854 - 1942); Sohn Otto, der spätere Psychiater, wurde 1877 geboren.
1878 nahm Gross am Okkupationsfeldzug gegen Bosnien teil und wurde zum Oberleutnant der Reserve befördert.
1898 wurde er ohne Habilitation zum Ordinarius für Straf- und Strafprozeßrecht an der Universität Czernowitz ernannt, 1903 nach Prag und 1905 schließlich nach Graz berufen. Einer seiner Studenten in Prag war Franz Kafka, der sich in den Werken „Das Schloss" oder „In der Strafkolonie" literarisch mit juristischen Themenbereichen auseinandersetzte.
Von 1869 bis 1897 war Hans Gross als steirischer Untersuchungsrichter tätig, was unter anderem eine rege Reisetätigkeit mit sich brachte, bei der er Evidenzmaterial von tausenden Rechtsfällen sichten und untersuchen konnte.
1893 veröffentlichte Gross in Graz bei Leuschner und Lubensky das zweibändige „Handbuch für Untersuchungsrichter", das in mehrere Fremdsprachen übersetzt wurde. Das ungeheure Echo auf dieses Werk führte zu einigen Neuauflagen.
Ab der dritten Auflage (1899) erschien das Werk unter dem Titel „Handbuch für Untersuchungsrichter als System der Kriminalistik". Hier also verwendete er erstmals die Bezeichnung „Kriminalistik" für die wissenschaftliche Verbrechensaufklärung.
Dieses „Handbuch für Untersuchungsrichter" sollte die Grundlage für die Habilitation an der Juristischen Fakultät der Grazer Universität darstellen. Die Akzeptanz des Werkes selbst war allerdings recht gering, da im zuständigen „K. K. Ministerium für Cultus und Unterricht" die Meinung vertreten wurde, dass die Kriminalistik keinen Lehrgegenstand für Studenten bilde.
Dessen ungeachtet stellte das Handbuch eine kriminalistische Revolution dar und wurde in fast alle Kultursprachen übersetzt.
Spektakulär war der von Hans Gross im Handbuch vorgestellte sog. „Tatortkoffer", ein Werkzeugkoffer für die Spurensicherung, der Schreibmaterial, Lupe, Messgeräte, Pinzetten, Schrittzähler, Kompass, Kreuze und Kerzen enthalten, den untersuchenden Juristen bei der Beweissicherung vor Ort unterstützen und etwaigen Zeugen bei der Verifizierung ihrer Aussagen helfen sollte. Weiters sollten sich darin sogar Bonbons befinden, um scheue Kinder zur Mitarbeit zu bewegen.
Im Jahre 1894 erschien sein „Lehrbuch für den Ausforschungsdienst der k.k. Gendarmerie", in dem er u. a. (erstmals) forderte, zur Aufklärung bestimmter Straftaten eine Hundestaffel einzusetzen.
In Ergänzung zum „Handbuch für Untersuchungsrichter" veröffentlichte Groß 1898 das Werk „Criminalpsychologie", wo es u. a. um die Erstellung eines Täterprofils ging.
Im selben Jahr erschien der erste Band der Zeitschrift „Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik", die von ihm mitbegründet wurde und sich bis heute als Publikationsmedium für kriminologische Erkenntnisse - gegenwärtig als „Archiv für Kriminologie" - einen Namen macht.
Hans Gross gilt als „Begründer der wissenschaftlichen Kriminologie"; seine „Grazer Kriminologische Schule" wurde weltweit anerkannt.
Bereits 1896 hatte der damals am Landesgericht für Strafsachen tätige Gross mit dem Aufbau einer Lehrsammlung für die praktische Ausbildung von Untersuchungsrichtern begonnen, wobei ein ministerieller Erlass die Gerichte der Habsburger Monarchie anwies, an dieses „Museum" entsprechendes Material zu übermitteln. So entstand eine umfassende Sammlung von Corpora Delicti: Tatwaffen, Fälschungen von Geldscheinen, Schädeldecken sowie anderen diversen Körperteilen von Opfern, Einbruchswerkzeug etc.
Das 1912, als erstes Institut dieser Art weltweit, eröffnete „k.k. Kriminalistische Institut", das aus einem Laboratorium, der Kriminalistischen Station und der Bibliothek bestand; ferner wurde diesem Institut das von Hans Gross installierte Kriminalmuseum als Lehrmittelsammlung für angehende Juristen angegliedert.
Als wissenschaftliches Publikationsorgan für Institutsvorträge, die sich schwerpunktmäßig mit Kriminalistik, Kriminalpsychologie, Kriminalanthropologie und Kriminalstatistik beschäftigten, fungierte die schon genannte Zeitschrift für „Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik".
Im Jahre 1977 wurde das „Institut für Kriminologie" aufgelöst und dem Institut für Strafrecht angegliedert; 2003 konnte es nach eingehenden Restaurierungsarbeiten als „Hans-Gross-Kriminalmuseum" im Hauptgebäude der Karl-Franzens-Universität wiedereröffnet werden.
Hans Gross starb am 9. Dezember 1915 an den Folgen einer Lungenentzündung in Graz. Seine seine letzte Ruhestätte fand er auf dem St. Peter-Stadtfriedhof in Graz.
Autor des Beitrags: Dr. Günther Perchtold
Werke von Hans Gross und über ihn in der Steiermärkischen Landesbibliothek
Literaturverzeichnis:
Hans Gross, Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen ... ,Verlag Leuschner & Lubensky : Graz, 1893
Sign. : B 516004 II
Hans Gross, Lehrbuch für den Ausforschungsdienst der Gendarmerie, Verlag Leuschner & Lubensky : Graz, 1894
Sign. : B 59190 I
Hans Gross, Criminalpsychologie, Verlag Leuschner & Lubensky : Graz 1898
Sign. : B 157220 II
Christian Bachhiesl / Ingeborg Gartler / Jürgen Tremer, Räuber, Mörder, Sittenstrolche. 37 Fälle aus dem Kriminalmuseum der Karl-Franzens-Universität Graz, 4. Aufl., Verlag Leykam : Graz 2003
Sign. : LA 561241 I